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Helmut Lasarcyk

Zitate & Gedichte


"Die Gleichgültigkeit ist eine Lähmung der Seele, ein vorzeitiger Tod."
~ Anton Tschechow


Der Pilger Luka erzählt:

"Ich kannte einen Menschen, der glaubte an das Land der Gerechten. Es muß auf der Welt ein Land der Gerechten geben ... in dem Land wohnen sozusagen Menschen von besonderer Art ... gute Menschen, die einander achten, die sich gegenseitig helfen, wo sie können ... alles ist bei ihnen gut und schön! Dieses Land also wollte jener Mensch immer suchen gehen ... Er war arm, und es ging ihm schlecht, und wie's ihm schon gar zu schwer fiel, daß ihm nichts weiter übrig blieb, als sich hinzulegen und zu sterben - da verlor er noch immer nicht den Mut, sondern lächelte öfters vor sich hin und meinte: Hat nichts zu sagen - ich trag's! Noch ein Weilchen wart' ich - dann werf' ich dieses Leben ganz von mir und geh' in das Land der Gerechten ... Seine einzige Freude war es - dieses Land der Gerechten ... Nun wurde nach eben jenem Ort - die Sache ist nämlich in Sibirien passiert - ein Verbannter gebracht, ein gelehrter Mensch ... mit Büchern und mit Plänen und mit allerhand Künsten ... Und jener Mensch spricht zu dem Gelehrten: Sag mir doch gefälligst, wo liegt das Land der Gerechten, und wie kann man dahin gelangen? Da schlägt nun der Gelehrte gleich seine Bücher auf und breitet seine Pläne aus ... und guckt - und guckt, aber das Land der Gerechten findet er nirgends! Alles ist sonst richtig, alle Länder sind aufgezeichnet - nur das Land der Gerechten nicht! Der Mensch - will ihm nicht glauben ... Es muß drauf sein, sagt er, such nur genauer! Sonst sind ja, sagt er, all deine Bücher und Pläne nicht 'nen Pfifferling wert, wenn das Land der Gerechten nicht drin verzeichnet ist ... Mein Gelehrter fühlt sich beleidigt. Meine Pläne, sagt er, sind ganz richtig, und ein Land der Gerechten gibt's überhaupt nirgends. - Na, da wurde der andere ganz wütend. Was? sagt er - da hab' ich nun gelebt und gelebt, geduldet und geduldet und immer geglaubt, es gebe solch ein Land! Und nach deinen Plänen gibt es keins! Das ist Raub ... Und zu dem Gelehrten sagt er: Du nichtsnutziger Kerl! Ein Schuft bist du und kein Gelehrter! Und gab ihm eins übern Schädel, und noch eins ... Und dann ging er nach Hause und -- hängte sich auf ."

Der Gedanke, daß die Menschheit ohne die Hoffnung auf das ewige Reich nicht leben könne, ist in dieser Erzählung aus Gorkis Nachtasyl so erschütternd zum Ausdruck gebracht, daß sie keiner erklärenden Worte mehr bedarf.

     Maxim Gorki (1868-1936),
zitiert aus:  Walter Nigg: Das ewige Reich (Zürich 1944, Seite 366-367).