Rupert Sheldrake
Morphogenetische Felder
In ihrem Buch Der Ruf der Rose berichten Dagny und Imre Kerner von einem Besuch bei Rupert Sheldrake Anfang der 1990er Jahre in London. Damals erzählte er ihnen das folgende beachtliche Beispiel für die Aktivität von morphogenetischen Feldern und morphischer Resonanz:
"Eine Bambuspflanze mit dem schönen lateinischen Namen Phyllostachys bambusoides blühte in China im Jahre 999 nach Christus. [Gold, Stephen Jay: Ever Since Darwin. New York 1980] Seit diesem Jahr, aus dem zum ersten Mal genaue Aufzeichnungen über seine Blüte vorliegen, hat der Bambus seit beinahe tausend Jahren ohne sich je zu irren nur alle 120 Jahre einmal geblüht und Samen getragen. Wo immer auf der Erde diese Bambussorte wächst, folgt sie demselben hundertzwanzigjährigem Zyklus. In den sechziger Jahren blühte dieser Bambus vorläufig das letzte Mal, er blühte gleichzeitig überall dort, wohin man ihn von China aus im Laufe der Geschichte gebracht hatte. Nun beobachteten Wissenschaftler, wie der Bambus gleichzeitig in Japan, England, den USA und Rußland blühte und begann, das erste Mal seit hundertzwanzig Jahren Samen zu tragen. Die Pflanzen waren in der Zwischenzeit nicht etwa inaktiv gewesen, Bambus gehört zu den Grassorten, die sich asexuell über neue Sprosse im Boden ohne Befruchtung von außen vermehren können. Generationen dieser Bambussgrte wachsen heran und sterben, ohne je Blüten getragen zu haben. Wenn es dann endlich wieder soweit ist mit der Blüte, kommt die traurige Pointe: Der Bambus, der die Blüten wieder tragen darf, stirbt unmittelbar nach der Entwicklung seiner Samen ab. Wie aber kann der Bambus die Jahre von einer Blüte, die nicht einmal seine eigene, sondern die seiner Vorfahren war, bis zu seiner Blüte zählen? Woher haben die Pflanzen in den verschiedensten Ländern dieselbe Information, zu einer bestimmten Zeit zu blühen? Wie schaffen sie es, dann wirklich synchron zu blühen und Samen zu entwickeIn?
Rupert Sheldrake interpretiert den außergewöhnlichen Rhythmus der Bambusblüte als Kommunikation zwischen den Pflanzen durch morphische Resonanz, in der die Zeit von 120 Jahren für diese Bambusart gespeichert ist: »Ich nehme an, daß der Biorhythmus der Pflanzen, ja sogar die täglichen Zyklen, auf morphischer Resonanz beruhen. Der hierfür immer wieder benutzte Ausdruck der >inneren biologischen Uhr< ist ein derartig mechanistischer Begriff, wie man ihn sich mechanistischer gar nicht vorstellen könnte. Es bedarf wohl nicht der Erklärung, daß keine Pflanze mit einer Quartzuhr samt Wecker und Datum ausgerüstet ist. Das gesamte Phänomen biologischer Rhythmen, des täglichen Öffnens und Schließens der Blätter, das auch in totaler Dunkelheit stattfindet, bis hin zu solch extremen Beispielen wie der chinesischen Bambusblüte interpretiere ich so, daß die heute lebenden Pflanzen aus der >Datenbank< morphischer Resonanz den Rhythmus der Pflanzengenerationen vorher abrufen. Man kann es auch so formulieren, daß das Gesamtgedächtnis der Pflanzen aus der Vergangenheit das Leben der heutigen Pflanzengenerationen bestimmt. Für mich steht außer Zweifel, daß eine Kommunikation zwischen Pflanzen genauso wie zwischen anderen Lebewesen rund um die Erde stattfindet. Wir sind auf Spekulationen, auf konventionelle oder eben auf unkonventionelle Theorien angewiesen, wenn wir die Frage stellen, wie die Kommunikation vor sich geht. Was die Kommunikation zwischen Menschen und Pflanzen anbelangt, Millionen von Briten verstehen sofort, was Sie meinen. Es sind Gärtner, Menschen, die sich zu Hause liebevoll mit ihren Pflanzen beschäftigen, wir nennen sie die Leute mit den grünen Fingern, die eine sehr spezielle, wie ich meine, kommunikative Beziehung zu den Pflanzen haben. Sicher keine Wissenschaftler, bei ihnen steht die Wissenschaft als Barriere zwischen Mensch und Pflanze. Es wird noch sehr lange dauern, bis wir in der Lage sind, die Kommunikation der Pflanzen zu dekodieren. Es bedürfte eines ziemlichen Anlaufs, um zu verstehen, wie es so ist, ein Tannenbaum zu sein. Wenn wir die Gedanken, die Psyche einer Pflanze, ihr seelisches Innenleben kennenlernen wollen, erhalten wir wahrscheinlich die besten Hinweise durch die psychedelischen Effekte, die manche Pflanzen auslösen, wenn Menschen sie einnehmen. Die Folge sind unglaubliche, für Nichteingeweihte verwirrende Visionen. Was aber sind nun diese Visionen? Sind sie bloß ver-rückte Gedankengänge im menschlichen Gehirn verursacht durch chemische Substanzen? Das wäre die Standardtheorie, die Chemietheorie. Oder findet dort dadurch, daß von der Pflanze hergestellte chemische Stoffe Pforten der Wahrnehmung öffnen, eine Art Kommunikation zwischen einem menschlichen Wesen und dem Reich der Pflanzen statt? Ich nehme die zeremonielle Verwendung von diesen pflanzlichen Rauschmitteln bei den Schamanen ernst, und ich kenne ernstzunehmende Leute, die damit arbeiten und durchaus bestätigen, daß mit Hilfe dieser speziellen Pflanzen der Mensch in der Lage ist, einen Einblick in das Seelenleben der Pflanzen und die Kommunikation mit ihnen zu erhalten.«"
aus Dagny Kerner, Imre Kerner: Der Ruf der Rose. Köln 1994, S. 112-115. ISBN 3462023918